SVT 175: Ein Denkmal ostdeutscher Bahngeschichte in Berlin-Lichtenberg

7. Dezember 2025
4 Minuten Lesezeit

Der creme-rote Schnelltriebwagen mit der Zugnummer 175-015-7, der heute im Bahnhof Berlin-Lichtenberg abgestellt ist, gehört zu den letzten Zeitzeugen einer ganz eigenen Ära des DDR-Schienenverkehrs.

Der SVT 175 – offiziell „Schnellverbrennungstriebwagen Bauart Görlitz“ – war das Prestige-Gefährt der Deutschen Reichsbahn und sollte in den 1960er-Jahren zeigen, dass auch die DDR Hochgeschwindigkeitsverkehr „auf Augenhöhe“ mit dem westdeutschen TEE bewältigen kann.

Entstehung: Die Antwort der DDR auf den Trans-Europ-Express

Entwickelt wurde der Triebzug beim VEB Waggonbau Görlitz. 1963 wurde der erste Prototyp VT 18.16 auf der Leipziger Frühjahrsmesse präsentiert – ein stromlinienförmiger Dieseltriebzug mit markanter Kopfform, großem Frontfenster und der typisch bordeaux-cremefarbenen Lackierung.

Die Baureihe wurde zunächst als VT 18.16 bezeichnet und ab 1970 in die DR-Nummernsystematik als Baureihe 175 eingeordnet. Aus dem Prototyp entwickelte sich eine Kleinserie: Insgesamt entstanden acht komplette Triebzüge, zusätzlich einige Reserve-Triebköpfe und Mittelwagen.

Jeder dieser Züge bestand je nach Einsatz aus vier, fünf oder sechs Wagen – zwei Triebköpfe und zwei bis vier Mittelwagen. Angetrieben wurde der SVT von zwei Dieselmotoren mit zusammen rund 2.000 PS (2 × etwa 1.000 PS), die eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 160 km/h erlaubten – für die 1960er-Jahre war das im Ostblock eine absolute Spitzenleistung.

Internationale Paradezüge: Vindobona, Karlex, Berlinaren

Die SVT der Baureihe 175 waren von Beginn an für den hochwertigen Fernverkehr vorgesehen. Sie sollten nicht nur innerdeutsche Schnellverbindungen bedienen, sondern vor allem den internationalen Verkehr der DDR in Richtung Skandinavien, CSSR und Österreich repräsentieren.

Unter klangvollen Zugnamen wie

  • „Vindobona“: Berlin – Dresden – Prag – Wien
  • „Neptun“: Berlin – Rostock/Warnemünde – Kopenhagen
  • „Berlinaren“: Berlin – Sassnitz – Malmö (mit Fährverladung)
  • „Karlex“ und „Karola“: Berlin/Leipzig – Karlovy Vary (Karlsbad)

wurden die Züge zum rollenden Aushängeschild der Deutschen Reichsbahn. Besonders der „Vindobona“ steht bis heute sinnbildlich für den komfortablen Ost-West-Fernverkehr im sozialistischen Lager.

Innen bot der SVT 175 ein für DDR-Verhältnisse hohes Komfortniveau: gepolsterte Großraum- und Abteilplätze, Speisewagen, klimatisierungsähnliche Lüftungsanlagen und große Panoramafenster. In den 1960er- und 1970er-Jahren war eine Reise im SVT 175 für viele Fahrgäste ein besonderes Ereignis, das ein Stück Reisefreiheit und „Weltläufigkeit“ symbolisierte – auch wenn die Visa-Praxis und politische Realität stark eingeschränkt blieben.

Der Zug 175-015-7: Teil der Einheit VT 18.16.08

Der heute in Berlin-Lichtenberg abgestellte Zug gehört zur letzten gebauten Serie und trägt die Nummer VT 18.16.08. Die zusammengehörige Garnitur besteht aus:

  • Triebkopf VT 18.16.08a – 175-015-7
  • Triebkopf VT 18.16.08b – 175-016-5
  • Mittelwagen 175-415-9
  • Mittelwagen 175-315-1

Gebaut wurde diese Einheit 1968. Im regulären Dienst war sie – wie ihre Schwestereinheiten – sowohl auf internationalen Relationen als auch später im hochwertigen Binnenverkehr unterwegs. In den 1980er-Jahren fuhren die Züge zum Beispiel noch als Schnellzüge zwischen Berlin und Bautzen oder zu den Leipziger Messen.

Als die Deutsche Bahn nach der Wende den Fernverkehr neu ordnete, verloren die dieselhydraulischen Triebzüge zunehmend an Bedeutung. Die Baureihe 175 wurde unter der DB-Baureihennummer 675 geführt, einige Einheiten kamen noch im Charter- und Sonderzugverkehr zum Einsatz, ehe 2003 endgültig Schluss war.

Abgestellt in Lichtenberg – und zum Denkmal geworden

175-015-7 ist heute eine von nur noch drei komplett erhaltenen Einheiten dieser Baureihe. Am Bahnhof Berlin-Lichtenberg steht der Zug seit Anfang der 2000er-Jahre auf einem Nebengleis. Eigentümer ist das DB Museum, betreut wird der Triebzug von einer BSW-Freizeitgruppe („Stiftung Bahn-Sozialwerk“), die ihn als technisches Denkmal erhält.

Fotos aus den vergangenen zwei Jahrzehnten zeigen den Zug in unterschiedlichen Erhaltungszuständen:

  • Anfang der 2000er-Jahre mit frisch wirkender Lackierung, gut erkennbar im typischen DR-Design.
  • Später mit deutlichen Spuren von Witterung und Graffiti, die den Erhaltungsaufwand verdeutlichen.

Trotzdem ist der Eindruck bis heute beeindruckend: Zwischen Oberleitungen, Abstellgleisen und Hochhäusern wirkt der creme-rote Zug wie ein eingefrorener Moment DDR-Verkehrsgeschichte.

Technik im Überblick

Einige der markantesten technischen Daten des SVT 175 / VT 18.16:

  • Bauart: dieselhydraulischer Schnelltriebwagen (SVT)
  • Hersteller: VEB Waggonbau Görlitz
  • Baujahre: Prototyp 1963, Serie 1965–1968
  • Höchstgeschwindigkeit: bis 160 km/h (vier- und fünfteilige Züge)
  • Leistung: 2 × ca. 736 kW (rund 2.000 PS)
  • Antrieb: zwei Dieselmotoren, Kraftübertragung via hydraulischem Getriebe
  • Zuglänge: je nach Version 98 bis 145 Meter
  • Sitzplätze: rund 150 in der vierteiligen Grundkonfiguration

Für die DDR war das eine High-Tech-Entwicklung mit erheblicher Symbolkraft: Der Zug bewies, dass moderner Hochgeschwindigkeitsverkehr nicht nur den elektrifizierten Westnetzen vorbehalten war.

Ehrenamt statt Großwerk: Wie der Zug heute gepflegt wird

Die Pflege des 175-015-7 in Lichtenberg liegt nicht bei einem großen DB-Werk, sondern im Wesentlichen bei einer engagierten Freizeitgruppe. Ehrenamtliche Eisenbahnerinnen und Eisenbahner, unterstützt von Eisenbahnfreunden und Spendern, halten den Zug seit Jahren zumindest äußerlich in einem präsentablen Zustand und öffnen ihn gelegentlich für Besuchergruppen.

Berichte eines Berliner Modellbahnclubs, der 2022 den Zug besuchte, schildern ein kleines „Zugmuseum“ im Inneren: historische Fotos, Fahrpläne, alte DR-Reklamen – dazu der Maschinenraum, in dem noch der typische Mix aus Öl- und Dieselgeruch zu riechen ist.

Gleichzeitig zeigt gerade dieser Zug, wie aufwendig die konservierende Erhaltung großer Fahrzeuge ist: Witterung, Vandalismus und begrenzte Mittel der Ehrenamtlichen machen eine vollständige betriebsfähige Aufarbeitung sehr schwierig. Umso wichtiger sind Spenden, Führungen und das öffentliche Interesse an diesem Stück Technikgeschichte.

Bedeutung für Berlin und die Eisenbahngeschichte

Für Berlin-Lichtenberg ist 175-015-7 mehr als nur ein „alter Zug auf dem Abstellgleis“. Der Bahnhof war über Jahrzehnte ein wichtiger Fernverkehrsknoten der DDR – von hier starteten zahlreiche internationale SVT-Verbindungen. Dass ausgerechnet hier eine komplette Einheit der Baureihe 175 steht, knüpft an diese Tradition an und macht den Ort zu einem kleinen, aber wichtigen Gedächtnisspeicher der Ost-Eisenbahn.

Eisenbahnhistorisch markiert der SVT 175 die Spitze des dieselhydraulischen Schnellverkehrs der DDR. Er steht

  • für den Versuch, ostdeutsche Ingenieurskunst international sichtbar zu machen,
  • für das Reisen zwischen sozialistischen Staaten in einer Zeit politischer Blockkonfrontation,
  • und für eine eigenständige Design- und Techniklinie jenseits der westdeutschen TEE-Züge.

Quellen (Verwendete Links)

Allgemeine Infos zur Baureihe

https://de.wikipedia.org/wiki/DR-Baureihe_VT_18.16

https://www.triebwagenarchiv.de/index.php?lang=de&nav=1001699

https://www.sebtus.de/steckbrief_extern_vt_18_16.html

Historische Hintergründe & Einsatzgeschichte https://www.eisenbahnfreunde-berlin.net/triebwagen-br-175/

https://www.bahn-galerie.de/Diesel_TW/DR_175/Baureihe_VT-18.htm

https://www.karlex.de/index.php/die-geschichte

Fahrzeugspezifische Daten zur 175-015-7

https://eisenbahn-museumsfahrzeuge.de/index.php/deutschland/staatsbahnfahrzeuge/triebwagen/baureihe-vt-18-16/vt-18-16-08a

Projekt & Restaurierung

https://www.svt-goerlitz.de/en/35-anfaenge-en.html

Artikel zur zeitgeschichtlichen Einordnung

https://www.welt.de/geschichte/article243906475/VT-18-16-Mit-einem-High-Tech-Zug-wollte-die-DDR-dem-Westen-Konkurrenz-machen.html

Fotos: © Redaktionszeit / Christian B.

#SVT175 #VT1816 #Schnelltriebwagen #DeutscheReichsbahn #DDRHistorie #Eisenbahngeschichte #BerlinLichtenberg #HistorischerZug #Bahnnostalgie #EisenbahnFreunde #WaggonbauGörlitz #Vindobona #Neptun #Berlinaren #Karlex #DR175 #Museumszug #DBMuseum #EisenbahnMuseum #Ostbahngeschichte #Bahnkultur #Technikgeschichte #HistorischeFahrzeuge #Zuglegende #Reichsbahn #EisenbahnLiebe #Schienenverkehr #Zugfotografie #Eisenbahnromantik #MaHeLIVE

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Aktuelle Beiträge

Meistgelesen

Verlassene Kita im Grünen: Lost Place am Fürstenwalder Damm 344

Ein Stück Kindheitsgeschichte liegt im Dornröschenschlaf: Am Fürstenwalder Damm 344

BVG-Arbeitsbühne aus der DDR: Der Multicar 25 33 mit UM 12-1 (1978–1985)

Wer in Ost-Berlin Oberleitungen, Fahrstrommasten oder Straßenleuchten in den späten